vtw Storys

The Work in meinem Leben

von Helga Bohnstedt
25.03.2021

„Der Typ sollte mir Sicherheit geben“

Die Situation ist vor vielen Jahren, ich war so 35 Jahre alt und arbeitete als Gitarrenlehrerin in einem Projekt in Florenz. Ein Referent, der ein neues Unterrichtswerk herausgebracht hatte, war eingeladen worden, uns dieses vorzustellen. Ich war von meinem Arbeitgeber gebeten worden, in dieser Gruppe von Lehrer*innen während seiner Präsentation zu moderieren.

Ich bin furchtbar aufgeregt. Solch eine exponierte Stelle. Der Autor wird aus Rom anreisen und ich, nicht einmal Muttersprachlerin im Italienischen, bin zum Moderieren auserwählt. Ich will es super machen, koste es, was es wolle.

Während ich im Kreis mit den Lehrpersonen und diesem Typen, der sein Werk vorstellt, sitze und meiner Aufgabe nachgehe, bemerke ich nicht, wie ich nervös an meinem Daumen herumzupfe, bis er schließlich blutet. Da sagt dieser coole Typ: „Du wirst dich ja jetzt hoffentlich nicht zerfleischen, nur weil du die Runde hier zu moderieren hast.“

Ich erstarre, möchte im Erdboden versinken. Wie peinlich!

Das ist der Moment für mein Arbeitsblatt. Der Gedanke, den ich heute untersuche, lautet: „Er sollte mir Sicherheit geben.“

Auf Frage 1 kommt ein Ja. Ja, verdammt nochmal! Wenn er doch sieht, wie verunsichert ich bin und wie hart ich mich tue, kann er wohl netter sein, sollte er doch … mich nicht so bloßstellen – vor den andern. Au, das tut weh.

Auch bei Frage 2 bleibt das Ja.

Bei Frage 3 spüre ich zuerst wieder diese Scham, ertappt worden zu sein. Wie groß war meine Anstrengung, in der Situation ein bestimmtes Bild abzugeben. Innere Bilder von brillanten Moderatorinnen aus dem TV … und ich im Vergleich dazu miserabel und klein. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Ich spüre meine Abhängigkeit von diesem Typen, von allen Anwesenden. Sie sind so wichtig. Neid, dass er so entspannt und authentisch ist. Wenn er nicht nett zu mir ist, heißt das über mich … eine Liste neuer Gedanken sprudelt aus mir heraus. Bilder aus der Vergangenheit mit meinem Vater tauchen auf. Ich sehe nichts mehr von dem, was in dem Moment um mich ist und mir Sicherheit geben könnte. Verloren in meiner Geschichte.

Frage 4:Ner Wer wäre ich ohne diesen Gedanken: "Er sollte mir Sicherheit geben“: Plötzlich spüre ich den Stuhl, auf dem ich sitze, der mir Sicherheit gibt. Die ganze Anstrengung, meine Aufgabe hervorragend zu meistern, fällt von mir ab. Ich lande im gegenwärtigen Moment. Mein Blick geht zu dem Typen. Dankbarkeit, dass er mich aus dem „Traum“ geholt hat. Ich sehe in seinem relaxten Ausdruck die Einladung, einfach auch nur zu entspannen. Was vorher noch wie eine Provokation wirkte, ist jetzt so ein sanftes Schubsen in die Realität. Da sind sieben oder acht Personen zusammen, die sich für ein neues Unterrichtswerk interessieren. Plötzlich bin ich mit voller Aufmerksamkeit dabei. Es geht gar nicht um mich. Ich sehe, wie alles von allein fließt. Sicherheit breitet sich in mir aus und ich sehe, dass ich gar nichts tun muss. Jetzt kann ich es genießen.

Wenn ich zu wählen hätte, ob ich lieber Sicherheit von andern bekomme oder sie in mir finde, wäre meine klare Entscheidung das zweite. In den Umkehrungen entdecke ich, wie viel Unterstützendes in der Realität dieses Momentes war. Alles zusammen war perfekt. Ich kann jetzt diese Sicherheit spüren, wenn ich nichts anders sein will, als ich gerade bin. Wie unendlich entspannend. Wie freundlich auch das Universum, dass es mir diesen coolen Typen präsentiert, durch den ich wieder zurückfinde in mein einfaches Sein.

Auch die Umkehrung „Ich sollte ihm Sicherheit geben“ lässt mich staunen. Wie kann ich Sicherheit geben? Nun, mit Sicherheit nicht, indem ich ihm eine Geschichte überstülpe, wie er ist und wie er nicht ist. Mir wird so klar, wie ich auch hier einfach im Moment sein darf: offen, ihn erleben, verbunden sein. Jetzt offenbart sich mir auch mein Entspannt- und Authentisch-Sein, das ich anfangs so groß in ihm gesehen hatte.

Was ich an The Work liebe, ist, dass ich auch Jahre nach einem scheinbar so furchtbaren Ereignis noch das kostbare Geschenk der Freiheit und des sicheren Ruhens in meinem Sein empfangen kann, das es für mich bereithielt. Damals war mein Ich zu gekränkt, zu stolz und lieber Opfer als frei. Aber wann immer wir bereit sind für die Überprüfung mit den 4 Fragen und Umkehrungen, wartet dieser Frieden auf uns, der sich so wie endlich zu Hause angekommen anfühlt.

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