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Das Leben ist kein Wunschkonzert

von Jelena Atanackovic
25.03.2021

Ein Ponyhof ist das Leben auch nicht und ohne Fleiß kein Preis, wäre ja auch zu schön um wahr zu sein. Pah! Da könnte ja jeder kommen und tun was er will! Wo kämen wir denn da hin? Das ist eine sehr gute Frage, der ich auf den Grund gehen möchte. Wo käme ich hin, wenn das Leben ein Wunschkonzert wäre? Die Antwort findet sich am Ende des Textes, doch zunächst möchte ich entdecken, was passiert, wenn ich derartige Gedanken glaube, wenn ich sie vielleicht sogar als unbewusste Glaubenssätze verinnerlicht habe. Ich untersuche die Wirkung des Gedankens "Das Leben ist kein Wunschkonzert" mit den 4 Fragen von The Work.

1. Ist das wahr, dass das Leben kein Wunschkonzert ist?

Mein Verstand sucht nach Beweisen, dass das stimmt und findet sie. Ich habe mir schon oft etwas vom Leben gewünscht, was nicht eingetreten ist. Meine Antwort: Ja, es ist wahr.

2. Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?

Hm, dieses „absolut“ in der Frage lässt mich zögern. Ich lasse die Frage wirken. Es fallen mir plötzlich Dinge ein, die ich mir gewünscht hatte und die tatsächlich eingetreten sind. Und das sind nicht wenige Dinge. ABER ebenso sehe ich die Dinge, die eben NICHT eingetreten sind. Ergo kann es nicht wahr sein, dass das Leben ein Wunschkonzert ist. Und ja, es wäre zu schön, um wahr zu sein. Das zu glauben wäre einfach zu naiv. Meine Antwort bleibt: Ja. Es ist wahr. Traurig, aber wahr!

3. Wie reagiere ich, was passiert, wenn ich den Gedanken glaube? Das Leben ist kein Wunschkonzert! Ich spüre eine Abgeklärtheit in mir, die fast schon bitter schmeckt. Ich sehe mich als desillusionierte erwachsene Frau, die um die Tiefen des Lebens weiß und der das Leben deutlich gezeigt hat, dass es kein Wunschkonzert ist. Es taucht eine Erinnerung von früher auf, als ich auf der Schwelle zwischen Kind und Jugendliche war. Ich glaubte noch daran, dass die Welt mir zu Füßen lag, dass alles möglich war und man es einfach nur tun müsse, was man sich wünschte. Das Leben war für mich voller Möglichkeiten und Überraschungen. Ich sehnte mich danach, mich ins Unbekannte zu stürzen! Das tat ich, doch wir wollten schauen, was passiert, wenn ich glaube, das Leben sei KEIN Wunschkonzert. Dann vergleiche ich mich heute mit mir früher und das macht mich traurig. Es taucht noch mehr aus der Vergangenheit auf. Ein Satz, den ich häufig als Kind von meiner Mutter hörte, war: Das Leben ist hart. Interessant zu bemerken, wie ich schon als Kind von anderen hörte, wie das Leben angeblich sei. Auch Bilder aus der Zukunft tauchen auf. Ich sehe Gefahren und Unglück, welches mich noch heimsuchen könnte und dem es aus dem Weg zu gehen gilt, das es zu meistern gilt. Ich wappne mich und befinde mich in einem Zustand zwischen Verteidigungs- und Angriffsmodus. Falls das Leben mir etwas schenkt, was ich nicht haben will: „Komm nur, Leben, ich bin bereit, mein Glück zu verteidigen, ja sogar dafür zu kämpfen! Du nimmst mir nicht mein Glück weg und solltest du mir Leid und Unglück bringen, statt das, was ich mir wünsche, dann... ähh, keine Ahnung, aber wehee! Ich muss schmunzeln. So behandle ich das Leben? Das ich einst so herbei sehnte mit allem, was es mir an Erfahrungen bringen möge? Ich behandle es wie einen potentiellen Enttäuscher und als sei es mir etwas schuldig, als würde es mir nichts schenken. Ich traue mich nicht, mir vom Leben etwas zu wünschen, denn ich könnte enttäuscht werden. Aha! Dazu dient mir der Gedanke, davor will er mich beschützen: Vor der Enttäuschung! Ich bin wie ein Kind, das sich vom lieben Gott etwas wünscht, es nicht bekommt und sich dann enttäuscht vornimmt, sich nie wieder etwas zu wünschen. Es beschließt, nicht mehr an Gott zu glauben, damit es nicht noch einmal enttäuscht wird. Irgendwie logisch. Das ist es, was unser Verstand tut, er will uns beschützen. Ich bedanke mich bei dem Gedanken dafür, dass er mich vor dem Schmerz der Enttäuschung bewahren wollte und gehe zur 4. Frage:

4. Wer bin ich ohne den Gedanken?

Ich schaue nach, was wäre, wenn ich diesen Gedanken nicht denken könnte, wenn er in meinem Gedanken-Repertoire nicht vorkäme:

Die Bitterkeit ist weg. Anstelle der Abgeklärtheit spüre ich wieder einen Hauch kindlicher Neugier, eine vorsichtige Offenheit gegenüber dem Leben und seinen vielen Möglichkeiten. Ich tu nicht so, als kenne ich das Leben und als wisse ich darüber Bescheid. Ich bin dem Leben wohl gesonnen und bereit, zu empfangen, was es mir zu geben hat und zu geben, was ich zu geben habe. Da ist mehr Respekt und Vertrauen dem Leben gegenüber. Der potentielle Feind, dem ich gewappnet gegenüber stand, wird zum Freund und Meister, mit dem ich viel Spaß hatte und noch haben möchte, der mich so vieles gelehrt hat und noch lehren wird und dem ich doch alles zu verdanken habe. Wenn ich denke, das Leben ist "so und so" fühlt es sich nach einem statischen Zustand an. Ohne den Gedanken ist Bewegung da, es fließt und verändert sich unaufhörlich, nimmt Formen an, die sich wieder verändern und zu etwas anderem werden. Da ist ständige Entwicklung und Unerwartetes und Unbekanntes.

Nun kehre ich den Gedanken in sein Gegenteil um:

Das Leben IST ein Wunschkonzert!

Bei dieser Umkehrung suche ich drei Beispiele, wie auch das wahr (oder sogar wahrer sein kann) als der Ursprungsgedanke. So nehme ich meinen Verstand an die Hand und schaue mit ihm in Ecken nach, wo er noch nicht war. Ich kann sehen, dass das Leben mir bisher sehr wohl gesonnen war, dass es mich reich beschenkt hat und meine wesentlichen Wünsche erfüllt hat und das, ohne dass ich mich dafür besonders anstrengen musste. Um meinen zweifelnden Verstand zu überzeugen, suche ich nach ganz konkreten Beispielen:

 

1. Ich habe mir als Studentin gewünscht, in einer Altbau Wohnung mit vielen Zimmern und hohen Decken im Stadtteil Paradies zu wohnen. Damals schon schien das unerschwinglich und für eine Studentin ganz schön anspruchsvoll. Kaum zu glauben, aber es tat sich eine günstige Gelegenheit auf und ich zog in genau so eine Wohnung im Stadtteil Paradies, wo ich heute noch wohne.

2. Es gibt im erwähnten Stadtteil Paradies ein ganz entzückendes Hinterhofhaus, in dem interessante Firmen sitzen. Ich wünschte mir ein Teil davon zu sein und ratet mal: Seit ein paar Monaten ist dort mein Büro.

3. Ein Geschenk des Lebens, das so wunderbar ist, dass ich es mir so noch nicht mal hätte vorstellen können sind meine beiden Kinder. Ganz großartige Geschenke!

Drei Beispiele reichen eigentlich, um dem Verstand zu zeigen, dass auch das Gegenteil vom ursprünglich Geglaubten wahr sein könnte. Das braucht er, um den Gedanken loslassen zu können, an dem er festgehalten hat.

Mir macht diese Sichtweise auf mein Leben gerade so viel Spaß, dass ich noch weitere Beispiele finde:

4. Als Studentin liebte ich Partys. Da ich eine genaue Vorstellung davon hatte, was eine "gute Party" ausmachte, veranstaltete ich mit Freunden Partys in einer stillgelegten Fabrik. Nach dem Studium wurde das mein erster richtiger Job: Ich bekam Geld dafür, die inzwischen sanierte Fabrik in einen offiziellen Veranstaltungsort umzuwandeln. Ich wurde Kulturmanagerin und bekam Geld für etwas, was ich zuvor auch ohne dafür bezahlt zu werden, gemacht hatte. Ich musste mich nicht anstrengen, den Job zu bekommen. Er wurde mir angeboten. Einfach so. Als sei das Leben ein Wunschkonzert!

Mir fallen mehr und mehr Beispiele ein, mein Blick weitet sich und mir wird ganz warm ums Herz. Das Leben ist ein Wunschkonzert ist definitiv genauso wahr und das zu glauben fühlt sich so viel besser an, als es nicht zu glauben und öffnet meinen Blick für Möglichkeiten, wo ich vorher Gefahren sah, wo alles erlebt schien, was es zu erleben gibt. Es macht mich neugierig, wo ich zuvor gelangweilt und abgeklärt war und lässt mich sehen, wie reich mein Leben ist, wie beschenkt ich bereits bin und ich kann spüren, wie dankbar ich für all das bin.

Da käme ich also hin, wenn ich glaubte, das Leben ist ein Wunschkonzert: Ich käme aus dem Mangel in die Fülle! Zu schön, um wahr zu sein? Für mich eine Frage der Sichtweise.

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