vtw Storys

Du hast Recht

von Florentine Brakel
01.09.2022

3 Wörter – drei einfache Wörter…


Wieder fahre ich zu meiner Mutter (92 Jahre), um sie im Haushalt zu unterstützen.
Eine Super Coachin gibt mir noch am Telefon (sie kennt die Geschichte mit meiner Mutter…) als Rat:
“Sag einfach zu Deiner Mutter, egal was sie sagt: Du hast Recht!“, was meinen Protest wachruft: „Das stimmt doch einfach nicht, das kann ich nicht!“

Beim Verlassen der Praxis fällt mein Blick auf die Vtw- Broschüre mit dem Titel: ‚Willst du Recht haben oder frei sei‘? Das ermutigt mich. Und es soll ja die Broschüre nicht nur in meiner Praxis stehen, sondern zur Lebenspraxis werden….

„Da hast du noch nicht geputzt. Mach mal was ganz.“ „Du machst es nicht richtig.“ „Was kannst du überhaupt denken?“ „Warum brauchst du solange?“ tönt es von meiner Mutter während des Saubermachens. Die Challenge ist perfekt! Und ich hole tief Luft, während ich bemerke, dass sich Ärger zusammenbrauen könnte, und sage:“ Ja, du hast Recht!“ Spüre in mich rein, ob sich das jetzt nach Unterwerfung, sich für blöd verkaufen, sich völlig ausliefern, anfühlt. Stille. Sie sagt nichts mehr. Gott weiß, wie lange ich mir das gewünscht habe, schon als Kind, endlich keine „Schimpftiraden“ mehr. Sie sieht zufrieden aus. Bekommt gute Laune. In mir steigt Leichtigkeit auf. Die nächste Anmerkung meiner Mutter und wieder: “Ja, du hast Recht“! Ihre Laune wird immer gelöster. Vielleicht wollte sie das hören? Ich hatte schon immer dagegengehalten und das nicht zu knapp. Und jetzt bin ich auf einmal offen für sie, mir fällt die Frage von the work ein: Und wessen Angelegenheit ist das, was sie über mein Putzen, meine Hilfe, denkt?- Ihre! Und mit ihren Augen gesehen, stimmt es, sie sieht es so! Übrigens: In der gezeigten Ecke hatte ich wirklich nicht geputzt. Spätestens jetzt wäre das eigentlich der Auftakt zu einem perfekten Drama gewesen (ich habe meine Zeit nicht gewonnen, ist das so wichtig, geht auch beim nächsten Mal, siehst du nur die Fehler, willst du immer die Schwächen aufzeigen, das hast du doch schon in meiner Kindheit getan…uvm.) Die Ecke putze ich noch, wenn es sein muss, ja …denn hier hat sie Recht. Komisch, gar nicht so schlimm, sondern irgendwie…frei, wirklich, es fühlt sich erleichternd und befreiend an!

Nicht mal zwei Minuten, und fertig! Perspektivwechsel. Ich kann ihre Sichtweise, ihre Situation wahrnehmen. Finde es urplötzlich toll, was sie noch leistet, wie fit sie noch ist. Richtig knuffig. Schon so lange wollte ich sie fragen, wie ihr die Pfannkuchen immer so gut gelungen sind. Beim Gehen frage ich sie: „Können wir Pfannkuchen mal zusammen machen?" „Dann komm doch am Freitag und schaue mir zu!" Sie freut sich sichtlich und ich mich irgendwie auch, bin berührt.

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